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Toni Morrison "Gott, hilf dem Kind"


Toni Morrison "Gott, hilf dem Kind"

Jazz, Blues oder doch Nobelpreis?

Toni Morrison - ein Name, der klingt wie Blues oder Jazz (männlich!), der Buchtitel irgendwie nach Autobiografie und in Erwartung dessen zog ich das Buch aus dem Büchereiregal - aber: Toni Morrison entpuppte sich als Literaturnobelpreisträgerin von 1993, weit über 80 schon und hier mit ihrem 2014 erschienenen, elften Roman und mithin wohl die wichtigste afroamerikanische Schriftstellerin der Gegenwart. Wow! Welch Überraschung.

 

Zudem, was für ein ästhetisches Cover, ein tiefschwarzer Frauenkörper in einem schneeweißen Cocktailkleid, und auch wenn das Gesicht nur angeschnitten ist, weiß ich, dass es sich hier um eine ausgesprochen hübsche Frau handeln muss...


und zwar...

um Bride alias Lula Ann.

Und heute zitiere ich zur Inhaltsangabe mal einfach den Klappentext:

 

Lula Ann ist solch ein tiefschwarzes Baby, dass ihre Mutter Sweetness bei der Geburt fast zu Tode erschrickt und der Vater die junge Familie auf der Stelle verlässt, weil er dieses Kind nicht als seines ansieht. Die Mutter zieht Lula Ann allein groß und lehrt sie Gehorsam und Unterwürfigkeit, aus Angst vor rassistischen Angriffen. Doch die heranwachsende Tochter sträubt sich gegen die verordnete Angepasstheit. Sie ändert ihren Namen, kleidet sich in provokant strahlendes Weiß, macht Karriere bei einer Kosmetikfirma, verliebt sich in einen eigenwilligen Mann und befreit sich auf ihre Weise von der Vergangenheit.

 

Zwei starke Frauen, zwei verschiedene Arten, sich zu schützen und gleichzeitig zu behaupten.


Meine Kritik

Fast die Hälfte des Romans lässt Toni Morrison die Frauen selbst ihre Geschichten erzählen, aus ihren subjektiven Perspektiven in der Ich-Form: Sweetness, die Mutter, Lula Ann, dann sich Bride nennend, die Tochter, Brooklyn, die Arbeitskollegin und Freundin, Sofia, die Lehrerin... Lesend ahnt man, dass vieles Erzählte nicht stimmen wird oder manches Erinnerte verfälscht oder gar weggelassen wurde: die Beschränktheit des Subjektiven!

 

Klar ist von der ersten Seite: Es geht Morrison um das Farbig-Sein und um Rassismus, um das Schwarz-Sein der Schwarzen, um ihr Bemühen, assimiliert in der dominant weißen Welt zu "verschwinden", also gewissermaßen um das "Weiß-Sein-Wollen" der Schwarzen - im extremen Beispiel in der Verweigerung der mütterlichen Liebe der eher hellhäutigen Sweetness gegenüber ihrer pechschwarzen Tochter Lula Ann (Man könnte sie für einen Rückfall halten... S. 11).

 

Dann nach 85 Seiten wechselt Morrison in die auktoriale Erzählperspektive, nur Nebenfiguren wie Sofia oder Brooklyn oder das Mädchen Rain kommen noch in der Ich-Perspektive zu Wort. Wahrheiten kommen zu Tage, die in der Subjektivität verborgen geblieben waren.

 

Jetzt wird auch immer klarer, es geht auch um Schatten der Vergangenheit und der Kindheit, die über einem ganzen Leben liegen können. Morrison greift Missbrauch in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf, da ist der seelische (Lula Ann), da ist der erkannte und verschwiegene (Vermieter), da ist der unvermutete (der nette Automechaniker), da ist der bewusst eingesetzte (Rains Mutter) und da ist sogar der vorgetäuschte (Sofia). So beschreibt Morrison Techniken der Lebens- und Leidensbewältigung wie Verdrängung, Hartwerden, Gewalt, also Schutzmechanismen, jedoch ohne zu verurteilen. Sie zeigt auf, lässt ihre Figuren handeln, show, don't tell, ganz im Sinne des creative writing.

 

Und was die Geschichte trotz der Schwere der Themen so überaus lesenswert macht, ist Morrisons unbedingte Sympathie für ihre Figuren und die Relativierung ihrer Schwächen vor der Darstellung der gesamten Persönlichkeit. 

 

Da werden noch weitere Morrison-Rezensionen folgen, gewiss!

 

Toni Morrison, Gott, hilf dem Kind, Aus dem Englischen von Thomas Piltz, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2. Auflage 2017, 204 Seiten, ISBN 978 3 498 04531 9


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