Eine Name…, den ich mir nicht einmal bewusst gemerkt hatte und der mir dennoch beim Durchstöbern der Buchtitel (wieder mal in der Zellinger Bücherei) ins Gedächtnis schoss - Delphine de Vigan. Da war doch was - und tatsächlich. Claudia hatte mir zwar von ihr den aktuellen Roman "Loyalitäten" empfohlen, dafür aber nun "No & ich".
Inhalt
Tatsächlich geht es um eine 13jährige junge Erwachsene und Hochbegabte: Lou Bertignac, Außenseiterin in ihrer Klasse, weil zwei Schuljahrgänge übersprungen und dadurch nicht nur im Äußeren anders, weil schmäler und kleiner als ihre zwei bis drei Jahre älteren Mitschüler, sondern auch mit so ganz anderen Interessen als ihre Altersgenossinnen: „Der Sonntag ist der Tag der häuslichen Experimente: Reaktion unterschiedlicher Brotsorten auf die Stufe 8 des Toasters (Mischbrot, Baguette, Milchbrötchen, Sechskorn), …., Zeit bis zum Verschwinden von Mundabdrücken auf beschlagenem Spiegel, Test der Widerstandsfähigkeit eines Haargummis im Vergleich zu der eines Schnippgummis, Löslichkeitsgrad von Nesquik im Vergleich zu dem von Pulverkaffee - … usw. (S.152)
Im Fach Wirtschaft und Soziales muss sie sich unter Druck dringend für ein Referatsthema entscheiden und wählt „Obdachlosigkeit“ mit der Ankündigung, auch ein Interview einzuarbeiten. So lernt sie die 18jährige obdachlose No (eigentlich Nolwenn) kennen, mit der sie schnell mehr verbinden wird als die Vorbereitung auf das Referat – eine ungewöhnliche Freundschaft zweier ungewöhnlicher Mädchen, die für Lou mit dem Wunsch einhergeht, No helfen, retten zu wollen:
Wir sind imstande, Überschallflugzeuge und Raketen ins All zu schicken, einen Verbrecher anhand eines Haars oder eines winzigen Hautpartikels zu identifizieren, eine Tomate zu züchten, die im Kühlschrank drei Monate lang völlig faltenfrei bleibt, und Milliarden von Informationen auf einem Mikrochip zu speichern. Wir sind imstande, die Leute auf der Straße sterben zu lassen. (S.81)
Immer wieder so was wie eine Kritik
Wow, wow, lange, lange habe ich nicht mehr ein Buch gelesen, dass mich so sehr in seinen Bann gezogen hat, dessen Geschichte sich mehr und mehr zu einem Sog entwickelte, sie zu Ende lesen zu müssen und mit deren Hauptfigur ich so mitfühlen wollte, obwohl oder vielleicht weil sie über dreißig Jahre jünger ist als ich (Töchter und Söhne!).
Delphine de Vigan schreibt mit einem unglaublichen Gespür und warmen Gefühl für ihre Hauptfiguren, für Lou und No, aber auch für die weiteren Akteure (u. a. die Eltern von Lou, Lucas, den Schulkollegen und Freund von Lou, Monsieur Marin, den Lehrer) und für die gesamte Geschichte und ihre schweren Themen - neben Obdachlosigkeit, auch Depression und Alkoholismus…
Es geht aber auch um Angst, um Verlustangst: von Elternliebe, es geht um das Dazugehören, um Familienzugehörigkeit, um das Bedürfnis nach Bestätigung dieser Liebe, um Haltgeben und um den unterschiedlichen Umgang und die verschiedenen Folgen, wenn diese Liebe und diese Basis einem nicht gewährt werden –
Dieses Buch endet für mich als Leserin mit Tränen, aber auch mit dem unbedingten Gefühl, dass trotz aller „Nebenwirkungen des Lebens, die auf keinem Beipackzettel, in keiner Gebrauchsanweisung genannt werden“ (S. 244) es Menschen gibt, die an einen glauben, und damit bleibt die Hoffnung – seufz!!
Delphine de Vigan, No & ich, Jean-Claude Lattés 2007, Deutschsprachige Ausgabe Droemer Verlag, Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co KG, München 2008, Aus dem Französischen von Doris Heinemann, 251 Seiten, ISBN 978-3-426-19831-5
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