Håkan Nesser „Die Perspektive des Gärtners“

Weiterer Bücherflohmarktfund aus Hammelburg, siehe Toni Morrison „Menschenkind“.

Winnie und Erik Steinbeck kommen in New York an: … mit vier vollgepackten Koffern und zwei leeren Herzen… (S.7) Gleichzeitig reisen sie mit einer Last und einer Leere an, die nicht vorstellbar ist, getragen werden zu können: Vor vierzehn Monaten ist ihre damals vierjährige Tochter Sarah entführt worden. Während Erik davon ausgeht, dass sie tot ist, glaubt Winnie, dass sie noch lebt. Aber irgendetwas scheint die Mutter auch zu verheimlichen…

Håkan Nesser ist durch seine unzähligen Kriminalromane bekannt und einer der berühmtesten schwedischen Autoren der Gegenwart. Sein Name war mir sehr wohl ein Begriff, ich hätte mir aber nimmer ein Buch von ihm zugelegt, da ich eigentlich nicht so gerne Kriminalgeschichten lese. Uneigentlich machte ich bei diesem Buch aufgrund des reizvollen Titels „Die Perspektive des Gärtners“ eine Ausnahme. „Die Perspektive des Gärtners“ ist allerdings lediglich das aktuelle Buch der einen Hauptfigur im Buch, des Schriftstellers Erik Steinbeck.

Er und seine Frau sind über ein Jahr nach der Entführung ihrer Tochter in eine Art Schockstarre verfallen und hoffen mit dem Umzug von Europa nach New York, für sich und ihre Beziehung neue Impulse und eine Art Rettung zu erfahren. Die Beziehungsanalyse von Erik, aus dessen alleiniger Sicht die Geschichte erzählt wird, ist ernüchternd: „Das Schweigen ist zu unserer normalen Umgangsform geworden.“ (S.108) und „Zwei erstarrte Gestalten auf einem sinnlosen und gleichzeitig wahrheitsgetreuen Gemälde…“ (S. 137)

Das ist, was die Beziehung und auch die Stimmung ihrer beider Geschichte beschreibt: tragisch, melancholisch, tief-traurig, steckengeblieben und ohne Wissen, was noch zu tun möglich wäre. Die Geschichte ist begründet auf einem Kriminaldelikt, auf der Entführung, stellt sich aber über weite Strecken weniger als Kriminalroman denn als psychologische Analyse des Zustandes eines Paares heraus, dem derartiges widerfährt.

So schreibt Håkan Nesser rückblickend, analytisch, und doch zugleich zart-sensibel aus der Sichtweise des Vaters. Durch diese Konsequenz in der Perspektive gelingt es Nesser darzustellen, wie gefangen in sich selbst und handlungsunfähig Erik Steinbeck nach dieser entsetzlichen Erfahrung ist. Es wird nachvollziehbar, warum Erik Steinbeck fast bis zum Ende des Romans mehr über die Vergangenheit reminisziert statt herauszufinden, worauf der Glaube seiner Frau beruht, dass die Tochter noch lebt. Erst als auch seine Frau verschwindet, versucht er der Sache auf den Grund zu gehen.

Dieses Buch mit seiner traurigen Geschichte fängt dich schnell ein und hält dich gefangen. Hier ist kein Einlesen notwendig. Ich mag das Psychologische und ich finde es gelungen vor allem und trotzdem sie Håkan Nesser nur aus den Augen und aus dem Erleben des Vaters und Ehemannes erzählt.

Deshalb doch klare Leseempfehlung mit fünf Miezen!

Håkan Nesser, Die Perspektive des Gärtners, Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt, btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 3. Auflage Juni 2012, 317 Seiten, ISBN 978-3-442-74016-1