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Marco Balzano "Ich bleibe hier"


Mieze-Kritik zu Marco Balzano "Ich bleibe hier"

Ich bin, ich gebe es zu, als Urlauberin an dieses Buch herangegangen. Auf dem Cover von Marco Balzanos „Ich bleibe hier“ ist der Kirchturm abgebildet, der aus dem Wasser des Reschensees ragt. Markantes Symbol einer ach so schönen Urlaubsgegend – ich hatte Sehnsucht...

 

„Ich bleibe hier“ ist aus der Perspektive von Trina erzählt, die in Graun im Vinschgau/Südtirol lebt. Die Geschichte setzt 1923 ein, als Trina ihr Abitur macht, dann Lehramt studiert und Südtirol und Italien von Mussolini beherrscht werden. Italienisch soll gesprochen werden, Deutsch ist unerwünscht, Trina ist es verboten zu unterrichten und so lehrt sie im Untergrund… Der zeitliche Bogen spannt sich bis in die 1950er Jahre, dazwischen ist Krieg, ist Südtirol von Hitlerdeutschland besetzt und es wird über Jahrzehnte, mit Unterbrechungen, an einem Staudamm gebaut, der Graun und Reschen unter Wasser setzen wird –

 

Der Titel mit seinem Statement „Ich bleibe hier“: verständlich in einer derart bezaubernden Landschaft. Vor dem historischen Hintergrund – Südtirol im faschistischen Italien unter Mussolini und dann von Nazideutschland besetzt - klingt er nach vielem mehr: nach Trotz, nach Jetzt-erst-recht, nach Einfalt, Naivität, nach Nicht-Wahrhaben-Wollen, klingt auch nach Ihr-könnt-mich-mal – und irgendwie ist von allem etwas dabei, wie Trina und ihr Mann Erich leben, und mit ihnen das Dorf - sie ertragen ihr Schicksal in Graun. Scheinbar. Und eben auch nicht!


Nur Mut, wir sind auch heute nicht gestorben. (S.185)

Sie bleiben da. Sie gehen nicht weg, wie so viele. Sie machen weiter.

 

Trina darf als Deutschlehrerin nicht unterrichten, also tut sie es heimlich. Tochter Marica wird von der Schwägerin quasi nach Deutschland entführt, Erichs Suche bleibt erfolglos, Trina erträgt es, irgendwie, denkt nahezu ununterbrochen an sie und bleibt. Der Krieg bricht aus, ihr Mann Erich wird eingezogen, sie macht weiter und führt den Hof. Sie bleibt da. Damit Erich nach einer Verletzung nicht wieder an die Front muss, desertieren sie in die Berge. Die Geschichte macht aber keine Pause. Nirgendwo. Und führt auch die Sache mit dem Staudamm weiter …

 

Marco Balzano lässt Trina ruhig und sanftmütig erzählen, sie ist eine gute und angenehme Erzählerin. Sie hat das Geschehen im Blick, dennoch einen gewissen Abstand den Dingen und den Dorfbewohnern gegenüber, aber auch zu dem Erzählten selbst, denn sonst, so scheint es, ist das Erlebte nicht ertragbar. Und vor allem ein Dauerschmerz bleibt: die Abwesenheit der Tochter, an die sie immer wieder das Wort richtet, direkt, so als ob sie alles nur für sie aufzeichnet, denn wie Trina glaubt, „sie könnten mich retten, die Wörter“ (S. 15). Oft reicht ein Satz, um zu verstehen, wie sehr sie selbst leidet: „Ich sah ihr von drinnen zu, und ich weiß nicht warum, aber mir kamen die Tränen.“ (S. 184)

 

Das Buch habe ich in einem Rutsch gelesen. Ich war ganz dabei. Bei Trina, bei Erich. In Graun. Bei seinen Bewohnern. Am Stausee. Es hat alles, was eine gute Geschichte braucht, und eines mehr: Es klärt auf. Pflichtlektüre für Südtirol-Besucher.

P. S. Marco Balzano mit „Ich bleibe hier“ ist nicht das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen geworden (ist ja auch nicht entscheidend). Der Preisträger ist Benjamin Myers „Offene See“ - liegt übrigens schon zum Lesen bereit 😊


Marco Balzano "Ich bleibe hier", Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Diogenes Verlag AG, Zürich 2020, 286 Seiten, ISBN 978 3 257 07121 4

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