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Milan Kundera "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"


Kunderas Roman, 1995 erschienen, mit ebenso altem vierblättrigem Kleeblatt :-)
Kunderas Roman, 1995 erschienen, mit ebenso altem vierblättrigem Kleeblatt :-)

Kennt ihr das? Ihr haltet ein älteres Buch aus Eurem Fundus nach langer, langer Zeit wieder in den Händen und Euch wird melancholisch-warm ums Herz?

 

Vielleicht hat das damit zu tun, dass Ihr jung wart, als Ihr es gelesen habt und nun schon ein bissl älter (möglich 😉), dass es damals irgendwie ein unglaublich gutes Buch war, obwohl Ihr tatsächlich gar nicht mehr so recht wisst, worum es in ihm ging? Und dann hat es noch so einen unschlagbar fantastischen Titel wie „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“?

 

So war es bei mir - neulich - mit Milan Kunderas Roman! Also: Zwangslektüre!


Darum geht es oder : "...eines der glaubhaftesten Liebespaare der modernen Literatur..."? (Klappentext)

Der Roman hat vier Lese-Dimensionen.

 

1.   Die historische Einordnung

Die Geschichte setzt im Jahr 1968 ein, Dubček u. a. wollen den Sozialismus in der Tschechoslowakei reformieren. Mit der Niederschlagung der Reformbewegung durch die „sozialistischen Bruderländer“ verändert sich auch das Lebensgefühl der Bevölkerung, es ist durchdrungen von einer repressiven Stimmung und geduckten Haltung. Mit der Flucht in die Schweiz und der Rückkehr in die Heimat sind die Probleme – wie am Beispiel des Ehepaars, der Hauptprotagonisten Tomas und Teresa - nicht gelöst. Wer Haltung unter den veränderten politischen Bedingungen zeigen will, muss wie Tomas beruflich büßen.

 

2.    Das Beziehungstechnische

…rankt sich im Haupterzählstrang um Teresa und Tomas. Der erfolgreiche Chirurg und die Kellnerin, die nebenbei fotografiert. Der polygame Luftikus und die treue Seele. Verbunden durch ein Liebesband, das so unterschiedlich von beiden gedehnt und gehalten wird, dass es wunderlich ist, dass es nicht reißt. Das dennoch trägt, Eskapaden, Eifersucht und erhebliche berufliche Einschnitte aushält.

Es geht aber auch um Sabina und Franz. Die freiheitsliebende Malerin (die auch ein Verhältnis mit Tomas hat) und der verheiratete Universitätsprofessor. Franz, der ihr die Treue und Liebe beweist, indem er sich von seiner Frau trennt, die sich aber ihre Freiheit bewahren will, Verrat wählt und die Beziehung beendet.

 

3.   Die philosophische Ebene

Der Titel „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ lässt die philosophische Dimension des Romans schon erahnen. Stärke und Schwäche, das Schwere und das Leichte, das Helle und das Dunkle, der Körper und die Seele – immer wieder sind es die Gegensätze, die Kundera thematisiert. Teresa, die nur für ihren Mann lebt. Tomas, der nur für die Frauen lebt. Es geht um Koketterie, um Kitsch, um den Mythos der Ewigen Wiederkehr, um den Einfluss der Zufälle... Um Dinge, die sich pro forma ausschließen und doch zusammen existieren, weil sie sich bedingen und ergänzen.

 

4.   Der auktoriale Erzähler

Ein auktorialer Erzähler treibt sein Unwesen. Mischt sich ein, bringt seinen Standpunkt zu Gehör, erklärt die Figuren. Ein für mich ganz und gar unnötiges, überflüssiges, zum Teil arg nerviges Instrument des Autors, weil der Allwissende die Figuren kommentiert, die Geschichte, das Erzählte nicht einfach stehen lässt, die Leserin bevormundet. 

 

Wer sich für die ersten drei Dimensionen interessiert und mit der vierten zurechtkommt, wird von Kundera gut unterhalten, weswegen er auch meine Leseempfehlung erhält.

 

Fast ganz zum Ende des Romans gelingt Kundera noch ein sehr schönes, emotionales Kapitel: Teresa und Tomas verabschieden sich von Karenin, ihrem Hund: gemeinsam, Hand in Hand aufeinander abgestimmt, die Gedanken und das Tun des anderen aufgreifend, fast symbiotisch. Diese Art der Stimmung hätte ich mir vorher schon immer wieder mal zwischen den Figuren – unkommentiert – gewünscht.

 

Vielleicht hätte ich die Wärme, die ich in meiner Erinnerung für das Buch hatte, wieder einfangen können.  Woher sie ansonsten aufkam beim Griff aus dem Bücherregal? Vielleicht einfach Sentimentalität?

 

P.S. Milan Kundera wurde 1929 im heutigen Tschechien in Brünn geboren und lebt seit den 1970er Jahren in Frankreich. Dort erschien 1984 der vorliegende Roman und wurde im gleichen Jahr auch in der BRD veröffentlicht. 


Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Aus dem Tschechischen von Susanna Roth, Carl Hanser Verlag München Wien, Sonderausgabe 1995, 301 Seiten, ISBN 3 446 14105 7 Ln

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