Worum geht es?
Mit acht Jahren verliert Beth ihre Eltern und muss ins Waisenhaus in Mount Sterling, Kentucky. Kaum jemand ist ihr dort zugewandt, die Atmosphäre ist kalt, die Kinder sind mit Tabletten ruhiggestellt. Jedoch landet sie durch Zufall am Schachbrett des Hausmeisters, der ihr Talent entdeckt. Bald spielt sie über den Möglichkeiten, die ihr Mr. Shaibel bieten kann. Durch eine unverhoffte Adoption kann sie sich mit Unterstützung ihrer Adoptivmutter Mrs. Wheatley immer weiter die nationale und internationale Welt des Schachs erobern. Gespickt ist der Weg mit Rückschlägen durch Süchte und Abhängigkeiten, die sie allein, aber immer wieder auch durch freundschaftliche Unterstützung bewältigen muss.
Mieze-Meinung zu Walter Tevis "Das Damengambit"
Bücher sind meistens besser als deren filmische Umsetzung, so empfiehlt es sich, Bücher zu lesen, bevor man Filme (bzw. hier eine Serie) anschaut. Der ungemein positive Ruf der Serie eilte dem deutschsprachigen Erscheinen dieses Romans voraus, und ich muss vorweg schon sagen: Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie diese Geschichte als Film bzw. Serie funktioniert und ich werde sie mir definitiv bald anschauen.
Die Geschichte schöpft ihren Reiz und die über 400 Seiten anhaltende Kraft aus ihrer (fiktiven) Hauptdarstellerin Elisabeth Harmon. Zu ihren Spielzeiten, in den 1960ern, genauso wie heute ist die Kombination Frau und Schach in dem immer noch männerdominierten Sport eher ungewohnt und leider öffentlich quasi unsichtbar.
Natürlich erahnt man beim Lesen, wohin der Weg des Waisenkindes führen wird, nämlich an die Spitze und vorbei an Schachgrößen, allesamt Männer, und die Besten und Gefürchtetsten freilich russischer Herkunft.
Natürlich liest sich das manchmal etwas lang - für eine/n Nichtschachspieler*in umso mehr, wenn Schachpartien oder Sequenzen daraus ausführlicher beschrieben werden.
Aber die spannungsgeladenen Bilder entstehen beim Lesen: Beth am Schachbrett sitzend, konzentriert, verbissen, angreifend, um den perfekten Zug ringend und genial die Partien im Kopf abrufend. Beth aber auch im Privaten mit sich selbst und ihren Dämonen kämpfend, mit ihrer Tablettensucht, mit dem Alkohol, mit dem Alleinsein. Walter Tevis stellt ihr dabei immer wieder wohl dosiert und rechtzeitig Halt gebende Figuren an die Seite: den Hausmeister Mr. Shaibel, ihre Adoptivmutter Mrs. Wheatley, den Schachfreund Benny Watts, die Freundin Jolene aus Heimtagen …
Der Autor schreibt dabei so angenehm, so ohne jede erzählerische Aufdringlichkeit, ich lese im Fluss, bin immer wieder sofort in der Geschichte drin, so als ob ich Abend für Abend mit Walter Tevis als Nachbar auf der Bank vorm Häusle säße und er mir diese besondere Geschichte dieser besonderen Frau erzählen würde.
Und darum, auch für alle Nicht-Schach-Fans: Sehr empfehlenswert.
Walter Tevis (1928 - 1984) studierte nach seinem Militärdienst im Zweiten Weltkrieg Literatur an der University of Kentucky und arbeitete lange Jahre als Lehrer und Universitätsdozent, ehe er freier Schriftsteller wurde. Er ist der Autor von sechs Romanen, von denen mehrere hochkarätig verfilmt wurden (Die Haie der Großstadt mit Paul Newman, Die Farbe des Geldes mit Tom Cruise, Der Mann, der vom Himmel fiel mit David Bowie). Nach dem weltweiten Erfolg der Netflix-Serie Das Damengambit mit Anya Taylor-Joy wird sein Werk wiederentdeckt. (aus dem Romaneinband entnommen)
Walter Tevis, Das Damengambit, Aus dem Amerikanischen von Gerhard Meier, Diogenes Verlag AG, Zürich 2021, 414 Seiten, ISBN 978 3 257 07161 0
Kommentar schreiben