Allein ist ein starkes Wort.
Sucht man sich den Zustand des Alleinseins selbst und aktiv aus, kann er voll kraftgebender Energie werden, zum Schreiben, zum Nachdenken, zum Kreativsein. Zum Lesen! Wird man passiv in das Alleinsein geworfen, wird man also allein gelassen, kann es deprimierenden Charakter annehmen und zur Krise werden. Daniel Schreiber beleuchtet und hinterfragt in seinem Aufsatz Dimensionen des und seines Alleinseins unter den aktuellen pandemischen Bedingungen, also quasi als Folge einer viralen Katastrophe und ihrer Konsequenzen.
Seine Überlegungen bewegen sich von den Gründen des Alleinseins, über die Bedeutung der Freunde und der Freundschaft, insbesondere für Menschen, die allein leben, über die Seiten der Einsamkeit und deren Tabuisierung, in die auch queere Erfahrungen einfließen. Immer zeigt er dabei auch historische und gesellschaftliche Entwicklungen auf und stützt seine Ausführungen auf umfangreiche Sekundärliteratur. Diese kurze Zusammenfassung des Inhalts führt möglicherweise zur Vorstellung, dass seine 142 Seiten umfassende Arbeit trocken zu lesen sei.
Aber: ganz und gar nicht!!
Dieses brandaktuelle Essay, in dem sich viele, viele mit ihren Empfindungen wiederfinden werden, und freilich natürlich verstärkt jene, die durch die Lockdownzeiten alleinlebend gehen mussten, wird eben zu keiner theoretischen Abhandlung.
Vielleicht lebte ich allein, weil ich allein leben wollte. (S.21)
Ausgangspunkt seiner Gedanken ist nämlich immer Daniel Schreiber selbst und seine Erfahrungen mit dem Alleinsein (nicht nur) in den vergangenen anderthalb Jahren. Es gelingt ihm, zart und feinfühlend sein Erleben darzustellen, sein Hadern, seinen Hang zur Depressivität, dabei nie jammervoll, nie sich beweihräuchernd, umso mehr ehrlich, sich blank, sich nackt machend. Tätigkeiten geben dabei Ersatzstrukturen und auch Halt, wo dies sonst soziales Leben leistete, wie Gärtnern, Stricken, Häkeln, Wandern…
Ein Punkt, der mich persönlich besonders irritiert hat, ist, dass Alleinlebende sich dem Vorwurf des Scheiterns ausgesetzt sehen, angesichts des gesellschaftlich dominanten und unbewusst eingeforderten Lebensmodells als Paar. Ich werde Acht geben, diesen nicht mehr zuzulassen, sollte ich ihn bisher transportiert haben.
Ein ungemein wichtiges, berührendes Buch, das leise zum Nachdenken anregt, mit einer absoluten Leseempfehlung und mit meiner persönlichen unbedingten Wiedervorlage in nicht allzu ferner Zeit.
Aus der Klappe: Daniel Schreiber, 1977 geboren, ist Autor der Susan-Sontag-Biografie Geist und Glamour (2007) sowie der hochgelobten und vielgelesenen Essays Nüchtern (2014) und Zuhause (2017). Er lebt in Berlin.
Daniel Schreiber, Allein, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München, 2. Auflage 2021, 160 Seiten, ISBN 978 3 446 26792 3
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