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Ralf Rothmann "Im Frühling sterben"


Meine Würdigung dieses tausendprozentigen Jahreshighlights gelingt hoffentlich angemessen: 

 

Ein starker Einstieg: Der Sohn formuliert in der Ich-Form seine Wahrnehmung des 60jährigen, todkranken Vaters – er entwickelt über nur sechs Seiten eine sehr genaue und sehr plastische Charakterisierung seines Wesens, seiner Art. Unbeantwortet bleiben jedoch die Fragen nach den Erlebnissen im Krieg. „Du bist doch der Schriftsteller“, ist des Vaters Antwort.


Die Väter

haben saure Trauben gegessen,

aber den Kindern

sind die Zähne stumpf geworden. 

(Ezechiel)


Ralf Rothmann "Im Frühling sterben"
Ralf Rothmann "Im Frühling sterben"

Sein Schweigen füllt der Sohn also mit dem Schreiben darüber – und der Wechsel in die Perspektive des Vaters geschieht fast unbemerkt.

 

Die Geschichte um die zwei Melker Walter und Friedrich, Fiete genannt, die als 18jährige im Frühjahr 1945 zwangsrekrutiert und nach einer Grundausbildung nach Ungarn an die Front geschickt werden, liest sich nur mit Pausen.

 

Denn genauso wie zu Beginn erzählt Ralf Rothmann detailversessen, intensiv, eindringlich, nachhallend und – ich muss es wiederholen – sehr plastisch über die Erbärmlichkeiten, über die Absurditäten, über den Irrsinn des Krieges und über all das, was er aus uns Menschen macht, die wir dann keine mehr zu sein scheinen.

 

Die extremen Szenen wechseln sich ab mit fast Alltäglichem, mit Gegenwärtigem, mit poetischen Naturbeschreibungen, in die dennoch die Zeichen des Krieges immer wieder und manchmal fast beiläufig eingewoben sind.

 

Walter und Fiete, zwei tragisch agierende Jungs, ja kaum Männer zu nennen, die ihren Weg suchen, aus den Fängen und durch die Zeit dieses Wahnwitzes zu kommen und ihm aber in keinster Weise irgendwie selbst bestimmt entfliehen können.

 

Gerne hätte ich an vielen, an sehr vielen Stellen das Buch gerüttelt und geschüttelt und hätte gerne bewirkt, dass die Figuren dadurch aus diesem Alptraum aufwachen könnten. Aber das war kein Traum, das war so.

  

Und ich wundere mich, ich bin ratlos, warum dies sich wiederholt, immer wieder Realität wird und ist. So sinnlos.


Ralf Rothmann, geboren 1953 in Schleswig, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt seit 1976 in Berlin.

 

Hier im Blog findet Ihr auch meine Meinung zu seinem Erzählband "Hotel der Schlaflosen".


Ralf Rothmann, Im Frühling sterben, Roman, Suhrkamp Verlag Berlin, Erste Auflage 2015, 234 Seiten, ISBN 978 3 518 42475 9

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