Reimann, Wander, Wolf - das Dreigestirn am DDR-Schriftstellerinnen-Himmel der 1960/70er Jahre - haben mich in den letzten Jahren immer wieder literarisch begleitet: Tagebücher, Briefwechsel, Gespräche oder ihre Prosa. In nahezu jeglicher Form haben sie mich unterhalten, berührt, gefordert und nachdenklich gemacht (zweimal habe ich allerdings auch abgebrochen - Reimann „Ankunft im Alltag“ und Wolf „Leibhaftig“).
Mich interessierten dabei nicht nur die Werke der Autorinnen, sondern habe ich durch das erneute Lesen ihrer privaten Aufzeichnungen sie als Frauen mit ihrer Persönlichkeit schätzen gelernt. Beim Lesen war es ein bisschen so wie bei drei guten Freundinnen, die ich lange nicht gesehen und nun wiedergetroffen habe und wir gleich wieder auf einer Wellenlänge waren… außerdem lebten sie ja da, wo ich zwanzig Jahre aufgewachsen bin: in der DDR.
„Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ scheint deshalb wie für mich persönlich geschrieben. Carolin Würfel entwickelt darin die drei Biografien von Geburt bis Anfang der 1970er Jahre, bis zwei von ihnen durch den Krebs aus dem Leben gerissen werden. In der Parallelität ihres Berichts wird die Unterschiedlichkeit der Lebenswege und Persönlichkeiten einmal mehr deutlich, aber ebenso die Gemeinsamkeit: ihre Berufung als Schreibende und die vorbehaltlose Hinwendung zur DDR und zum System Sozialismus - die Auseinandersetzung mit dieser Idee ist auch ein Grundpfeiler des Buches.
Wie Gängelung, Misstrauen, Intoleranz, Vereinheitlichung, Überwachung und Zensur gegenüber den Kunstschaffenden und der gesamten Bevölkerung diese Basis bei Reimann, Wolf und Wander nach und nach immer brüchiger werden lässt und wie sie damit umgehen, das zeigt Würfel auf. „Die Luft für das ICH im WIR wurde täglich dünner.“ (bei Christa, S. 173); „Eine Härte von oben, die gruselige Züge hatte.“ (bei Maxie, S. 73) und „Hütet euch, unseren Familienzusammenhalt zu zerstören. Wir wollen doch jede eigene Meinung achten und nicht dem anderen etwas aufzwingen. Reden wir nicht von Freiheit, sondern üben wir sie!“ (Vater Willi Reimann bei Brigitte, S. 127)
Würfels Sympathie für die drei Frauen spüre ich durchgängig, bestätigt durch die Nähe schaffende Betitelung der Kapitel mit den Vornamen, durch ihr Nachwort und die familiäre Verbundenheit mit Wanders „Guten Morgen, du Schöne“ und hebt ihre Arbeit von einer reinen biografischen Dokumentation ab.
Die Autorin hat mich mit diesem Buch sehr abgeholt, auch wenn kleine inhaltliche Schnitzer vorhanden sind (Leuna und Beuna statt BUNA bspw.). Ich empfehle es daher für alle, die Reimann, Wander und/oder Wolf schätzen oder sie und dabei die geschichtliche, gesellschaftliche Einbettung entdecken wollen.
Von / über Reimann, Wander, Wolf findest Du hier folgende Titel besprochen:
Christa Wolf "Nachdenken über Christa T."
Christa Wolf "Störfall - Nachrichten eines Tages"
Brigitte Reimann / Irmgard Weinhofen "Grüß Amsterdam"
Brigitte Reimann / Christa Wolf "Sei gegrüßt und lebe"
Maxie Wander "Tagebücher und Briefe"
Jana Simon "Sei dennoch unverzagt - Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf"
Carolin Würfel, geboren 1986 in Leipzig, studierte Geschichte und Publizistik in Berlin und Istanbul. Sie arbeitet als freie Autorin und Journalistin, insbesondere für Die Zeit. 2019 erschien von ihr Ingrid Werner und die Kunst der Befreiung.
Carolin Würfel, Drei Frauen träumten vom Sozialismus, Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf, Hanser Berlin, 2. Auflage München 2022, 270 Seiten, ISBN 978 3 446 27384 9
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