Wow. Ein außergewöhnliches, ein erstaunliches Buch.
Die Autorin schreibt ihren Roman in zwanzig Briefen. Selbst sagt sie zu Beginn, es gäbe „unter ihnen … keinen zwingenden Zusammenhang…“ (S. 7) Natürlich gibt es ihn:
Zoё, 26. Die Schreiberin der (meisten) Briefe. Sie nimmt mich darin mit auf ihre empfindsame Reise und lässt mich nicht unberührt. Vielmehr: Ich bin fasziniert von ihr. Ich war allerdings streckenweise auch so genervt von Zoё, von ihrem Selbstmitleid, dass ich geneigt war, den Kontakt zu ihr abzubrechen. Mithin das Buch.
Ich habe mich von dir betören lassen. Deine Welt hat mich betört, deine mir die Sinne raubende, mich trunken machende Liebe, die du mitgebracht hattest, hat mich betört, dass ich mich in deinen Augen sehe, hat mich betört. (Xu an Zoё, S. 171)
Aber das hatte dann auch wieder was von Kunst, von Raffinesse, dass Miaojin mich so in Beziehung zu Zoё setzte, und damit zu ihrem Hauptthema: zu ihrer Forderung nach bedingungsloser und zu ihrem Anspruch auf vollkommene Liebe... Ich spürte ihre ganze Persönlichkeit, ihre Leidenschaft, ihre Hingabe, ihre Zerrissenheit, ihr (tödliches) Verzehren und ihre Verzerrung, ich spürte ihre verletzte Seele, ihre Wut gegen sich und gegen andere – all das fühlte ich.
Miaojin benutzt dabei eine Sprache, die wie aus der Zeit gefallen scheint, die wohl gewählt und sorgfältig formuliert ist und die mich herausforderte. Die mich aber auch amourös verzaubern konnte.
Ein Buch voller Gefühle, mit Ausschlag in jegliche, mögliche Richtungen, die auch beim Leser und der Leserin zu erwarten sind und auf das man/frau sich einlassen wollen muss.
TW: Suizid.
Vielen Dank an den Verlag Matthes & Seitz, Berlin, für das Rezensionsexemplar.
Qiu Miaojin, 1969 im Westen Taiwans geboren, studierte Psychologie in Taipeh und Paris. Bereits ihre ersten veröffentlichten Geschichten wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Nach ihrem Tod 1995 wurde sie mit dem Ehrenpreis der China Times für Literatur ausgezeichnet.
Martina Hasse studierte Sinologie, Kunstgeschichte und Ostasiatische Kunstgeschichte in Hamburg und Taiwan. Zuletzt erschien in ihrer Übersetzung die Aufzeichnungen eins Krokodils von Qiu Miaojin.
Qiu Miaojin, Letzte Worte vom Montmartre, Aus dem Chinesischen von Martina Hasse, Verlag Matthes & Seitz, Erste Auflage, Berlin 2023, 237 Seiten, ISBN 978 3 7518 0919 1
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