Ich habe Miroloi gesuchtet, aber lange nicht genossen. Und doch. Ich wollte weiterlesen.
Mir gefielen das Setting, die Idee und die Konstellation der Geschichte: eine Insel, irgendwo im Mittelmeerraum und die darauf leben - abgeschottet, ohne Strom, mit festen Regeln, festen Riten, die dem Jahreskreis folgen, Männer und Frauen in einer engen, überkommenen Rollenauffassung feststeckend, aber ursprünglich und naturnah lebend. Das moderne „Drüben“ existiert, aber wer ausbrechen will, wird bestraft, am Pfahl ... Die darüber bestimmen und wachen sind nur Männer – in einem Ältestenrat… und da ist eine junge Frau, die erzählt, namenlos, weil eine absolute Außenseiterin, weil vor sechzehn Jahren vor dem Bethaus ausgesetzt, Mutter und Vater unbekannt, dann aber vom Bethaus-Vater aufgenommen und seitdem unter seinem Schutz stehend. Sie erzählt ihr Miroloi, ein Klagelied, ein Totenlied, das aus der griechisch-orthodoxen Tradition herrührt, und so sind die Kapitel als Strophen betitelt. Die große Thematik des Romans ist deutlich erkennbar: das Patriarchat und das Frausein darin, die Befreiung der Frau, ihr Ausbrechen, immer noch aktuell, überall.
Hui, und dann war ich aber genervt - von der Sprache, die ja die Sprache der Hauptdarstellerin ist und die einzige Perspektive des Romans: Glänzedach, das große Blaublau, der Überkopfmann, der Überkopfbetschüler, der Richtigrummann und so weiter, und dies und so manche andere Merkwürdigkeiten verdeckten die Geschichte und die Hauptfigur… doch so wie die, die später Alina genannt wird, mehr und mehr den Zwängen des Dorfes und seiner Gemeinschaft zu entfliehen sucht, so konnte ich mich, weitestgehend zumindest, von meinen Abneigungen lösen und mich einlassen…
… und so habe ich weitergelesen und weitergelesen. Ich habe mich und dich und uns im Spiegel gesehen, klare, ja oft plakative Botschaften über das Funktionieren unserer Gesellschaft, die aber weit über die rein feministische hinausgehen.
Ich habe das Miroloi beendet, ich habe es nicht lieben, aber doch echt mögen gelernt.
Karen Köhler hat Schauspiel studiert und zwölf Jahre am Theater in ihrem Beruf gearbeitet. Heute lebt sie in Hamburg und schreibt Theaterstücke, Drehbücher und Prosa. Ihre Theaterstücke stehen bei zahlreichen Bühnen auf dem Spielplan, 2014 erschien bei Hanser ihr Erzählungsband Wir haben Raketen geangelt, für den sie u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Karen Köhler, Miroloi, Roman, Carl Hanser Verlag, 1. Auflage 2019, 463 Seiten, ISBN 978 3 446 26171 6
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