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Fatma Aydemir "Dschinns"


Mit einem starken ersten Kapitel startet Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“. Ich war geplättet, habe danach tief durchgeschnauft – wow. Darin begegne ich Hüseyin, 59, in Istanbul Ende der 1990er, er hat gerade eine Eigentumswohnung gekauft, sie mit dem Neuesten möbliert, denn er will zurück in die Heimat nach Jahrzehnten in Deutschland. Das Kapitel ist in Du-Form geschrieben (ich mag's!), und zu seinem Ende hin meine ich, dass es der Tod ist, der darin in seiner Ansprache an Hüseyin das Leben des Mannes Revue passieren lässt. Dann nimmt er ihn zu sich - Hüseyin erleidet einen Herzinfarkt just in dem Moment, da er es geschafft hat: die Rückkehr scheint nah. Das Versprechen des „Todes“ oder ist es doch ein „Dschinn“ (in der islamischen Vorstellung eine Art Geist): dass er auf Hüseyins Familie aufpassen, immer bei ihr sein wird. Gänsehaut. 

 

Die folgenden Kapitel erzählen jeweils von den vier Kindern – Ümit, Sevda, Peri und Hakan – wie es ihnen mit der Todesnachricht erging, wie sie die Wohnung erreichen, wie sie die Erinnerungen an ihre Familie und ihr Aufwachsen in Deutschland heimsuchen, sie sich darin ins Verhältnis zum Vater, aber auch zur Mutter setzen. Im letzten Kapitel erfahre ich schließlich mehr über Emine, Hüseyins Frau, wie bei Hüseyin in Du-Form, vom Dschinn oder vom Tod erzählt?


"Dschinns sind alles, was wir komisch finden, anders, unnatürlich. Wenn jemand nicht dem entspricht, was die meisten Menschen als normal empfinden, heißt es schnell: Der und der ist von einem Dschinn besessen." (S. 185)

Fatma Aydemir "Dschinns"
Fatma Aydemir "Dschinns"

Gesehen und mitgefühlt und -gelitten habe ich mit der Einsamkeit und dem Schweigen und Verschweigen bei Familie Yilmaz. Ich konnte die Unsicherheit und die Unruhe bei jedem und jeder von ihnen spüren, dieses „Hängen“ zwischen den so unterschiedlichen Ländern und Kulturen, und die daraus begründete Schwierigkeit, sich zu verorten, zu verwurzeln, anzukommen.

 

Ein Buch, das ich verschlungen habe, ja. Aber - Homosexualität, Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch, Scheidung, die geschäftstüchtige und überlastete Alleinerziehende, der linke Gebrauchtwagenhändler, Selbstmord, das weggegebene, verlorene Kind, das dramatische Ende … Die Fülle an Themen, die angeschnitten werden, und die Vielfalt an verzwickten familiären Konstellationen haben mich teilweise überfordert, haben kaum Raum und Freiheit gelassen für ein Dazwischenlesen.

  

Das war mir einfach zu viel.


Fatma Aydemir wurde 1986 in Karlsruhe geboren. Sie lebt in Berlin und ist Kolumnistin und Redakteurin bei der taz. Bei Hanser erschien 2017 ihr Debütroman Ellbogen, für den sie den Klaus-Michael-Kühne-Preis und den Franz-Hessel-Preis erhielt. 2019 war sie gemeinsam mit Hengameh Yaghoobifarah Herausgeberin der Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum. Dschinns wurde mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet.


Fatma Aydemir, Dschinns, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, 1. Auflage, München 2022, 367 Seiten, ISBN 978 3 446 26914 9

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