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Dana von Suffrin "Nochmal von vorne"


Anders. Dana von Suffrin erzählt anders. 

 

Lange, seitenlange, verschachtelte Sätze in einem einzigen Gedankenfluss, chaotisch wirkend. Satzgefüge, die ich am liebsten ordnen wollen würde. Das ist unbequem und gewöhnungsbedürftig zu lesen. Ich befinde mich mit Rosa in der Wohnung des gerade verstorbenen Vaters und stolpere so mit ihr in ihrem Kopf durch ihre Erinnerungen an die Jeruschers, ihre Familie.

Dana von Suffrin "Nochmal von vorne"
Dana von Suffrin "Nochmal von vorne"

Aufgeregt berichtend, kaum Luft holend – aber dann doch auch ironisch-belustigt streife ich mit Rosa rückblickend durch ihr Aufwachsen - in einer deutsch-jüdischen Familie in den 1990ern in München. Das sind Rosa und ihre vier Jahre ältere Schwester Nadja, Vater Mordechai und Mutter Veronika. Und die jüdischen Großeltern in Tel Aviv, aus Rumänien stammend.

 

Sie erinnert sich an die ewigen Streitereien der Eltern… Mordechai ist ein schweigsamer, duldsamer Vater, Veronika eine Mutter, die sich in dieser Ehe enttäuscht und eingesperrt fühlt und im Alleingang versucht, sich mit der Nazivergangenheit auseinanderzusetzen. Die große Schwester geht von Grund auf zur Familie und zu allem auf Distanz. Mir als Leserin bleibt nichts übrig – ich ergebe mich Rosas Sichtweise, und gelingt dies, erspüre ich mehr und mehr ihren gebändigten Zorn, eine große Verletzlichkeit, Trauer und: die Sehnsucht nach Liebe.

 

Die mit kurzen geschichtlichen Einschüben anskizzierte Vergangenheit der gesamten Familie ist mächtig. „… nochmal von vorne“ (S. 41) leben geht nicht.

 

Aber als Geschwister können sie nochmal von vorne beginnen. Rosa und Nadja versuchen es.

  

Sehr lesenswert.

 

Vielen Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln, der mir freundlicherweise ein Leseexemplar zur Verfügung stellte. 


Dana von Suffrin wurde 1985 in München geboren. Studium in München, Neapel und Jerusalem. 2017 Promotion mit einer Arbeit zur Rolle von Wissenschaft und Ideologie im frühen Zionismus. Ihr Romandebüt "Otto" wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Klaus-Michael-Kühne-Preis (2019), dem Ernst Hoferichter-Preis (2020) und dem Förderpreis des Friedrich-Hölderin-Preises (2020). Sie lebt in München.


Dana von Suffrin, Nochmal von vorne, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1. Auflage, Köln 2024, 235 Seiten, ISBN 978 3 462 00297 3

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