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Dana Vowinckel "Gewässer im Ziplock"


Differenziert entwickelte Figuren, mit denen ich mich schon früh tief verbunden fühlte, zeichnen diesen Roman aus. Marsha und Avi, beide Mitte 40, leben zerrissen zwischen Chicago, Berlin und Jerusalem mit einer 15jährigen Tochter in ihrer Mitte - eine Familie, die es nicht schafft, eine zu sein und die doch eine ist. Erzählerisch und perspektivisch großartig aufgefächert zeigt mir die 28jährige Dana Vowinckel in ihrem Debüt (!), wovon und wie das Leben und die Entscheidungen ihrer Figuren zum Großteil bestimmt werden: von ihrem Jüdischsein – ohne dass die Autorin dies je in den Vordergrund schiebt.

„…, dass die Nachbeben auch Margarita schüttelten…“ (S. 267) „… und sie würde niemandem je sagen, dass sie Jüdin war, denn es führte zu nichts Gutem.“ (S. 265)

Dana Vowinckel "Gewässer im Ziplock"
Dana Vowinckel "Gewässer im Ziplock"

Bis zum Romanende bleibe ich als Leserin ein wenig überfordert von den jüdischen und hebräischen Begriffen, Traditionen und Ritualen, obwohl es ein, allerdings absolut unvollständiges, Glossar gibt. Onlinerecherche hilft heutzutage, aber braucht’s das? Es funktioniert auch so. Fast unterstelle ich der Autorin die Absichtlichkeit der Leerstellen im Glossar.

 

Letztendlich ist es egal, was ich weiß – was bleibt, ist der Mensch. Und ist er und lebt er religiös, soll er das doch für sich tun. So wie Vowinckels Figuren dies sind und leben, die eine mehr, die andere weniger bis gar nicht. Wer bestimmt, was und wie das richtig ist, das Jüdischsein, das Religiösleben? Wird mensch dafür allerdings angegriffen oder gar vernichtet oder greift mensch deswegen jemanden an --- das lässt selbst Avi, den Kantor, an „…Gott…, der solches zuließ, …“ (S. 209/210), zweifeln.

 

Von der ersten bis zur letzten Seite authentisch und intensiv umgesetzt, und, wäre ich nicht dem Rhythmus unserer so geschätzten Leserunde gefolgt: Ein Roman zum Inhalieren.

 

Mega!


Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin geboren und studierte Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2021 wurde sie für einen Auszug aus Gewässer im Ziplock mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. Für ihre Erzählung In my Jewish Bag erhielt sie beim Wettbewerb "L'Chaim: Schreib zum jüdischen Leben in Deutschland!" den ersten Preis. 2023 wurde ihr ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats zugesprochen Dana Vowinckel lebt in Berlin.


Dana Vowinckel, Gewässer im Ziplock, suhrkamp nova, Suhrkamp Verlag AG, 3. Auflage, Berlin 2023, 363 Seiten, ISBN 978 3 518 47360 3

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