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Daniela Krien "Irgendwann werden wir uns alles erzählen"


Unaufgeregt und authentisch sind für mich die Attribute, die Daniela Kriens Erzählen beschreiben. Das mag hier auch an der Hauptfigur Maria liegen, die gerade siebzehn geworden ist und deren junge, unverformte Stimme uns durch ihre eigene Geschichte führt. Sie erzählt unbefangen, ehrlich und stellenweise mit Erstaunen, wie ihr so geschehen kann. 

 

Sommer 1990 irgendwo in Ostdeutschland. Maria wohnt auf dem Brendelhof, Sohn Johannes ist ihr Freund. Hier fühlt sie sich wohl. „Ich nehme es als Zeichen echter Zugehörigkeit, man hat mich vermisst, ich bedeute etwas.“ (S. 86) Johannes macht das Abitur, geht leidenschaftlich in seiner neuen Berufung, der Fotografie, auf und strebt die Aufnahme an der Kunstakademie in Leipzig an. Maria selbst ist eine Schulschwänzerin, kann aber anpacken und hilft hier und da auf dem Hof. Da begegnet sie Henner, Bauer auf dem Nachbarhof, vierzig, charismatisch und raubeinig … 


Daniela Krien "Irgendwann werden wir uns alles erzählen"
Daniela Krien "Irgendwann werden wir uns alles erzählen"

Sie ist von ihm angezogen, er begehrt sie.

 

In den Zeiten der Wende verlieren die Hofbewohner*innen den Blick für das, was nah vor ihnen geschieht. Der Hof soll ein Demeter-Hof werden, die Verwandtschaft aus dem Westen ist zu Besuch, der Hofladen wird ausgebaut …

 

"Noch nie habe ich so wenig gebraucht und so sehr mir selbst genügt wie an den Tagen mit ihm. Essen, schlafen, lieben, lesen, arbeiten. Mehr ist es nicht. Und es ist doch alles." (S. 236)

 

Daniela Krien lässt Maria erzählen. Maria reift, die Beziehung entwickelt sich. Es ist ein außergewöhnliches Erwachsenwerden. Die Momente sind absolut da, wo ich das Machtgefälle genau spüre. Was mir gefällt ist, dass Krien dennoch nie die Anklage stellt gegenüber dem Älteren, nie die Jüngere als die Naive darstellt, sondern die Dinge rund und ausgewogen erzählt. Und die Beurteilung dem/der Leser*in überlässt, wenn er, sie will überhaupt. Die Lüge bleibt, die Frage nach der Möglichkeit einer solchen Liebe auch. 

 

Nach „Liebe im Ernstfall“, “Der Brand“ und „Muldental“ nun Kriens Debüt aus dem Jahre 2011 - mit diesem Roman untermauert sie ihren Status in meinen Lektüreannalen:

 

Lieblingsautorin!


Daniela Krien, geboren 1975 in Neu-Kaliß, studierte Kulturwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig. Seit 2010 ist sie freie Autorin. Ihre Romane, Die Liebe im Ernstfall und Der Brand, standen monatelang auf der Bestsellerliste und wurden in viele Sprachen übersetzt. Daniela Krien lebt mit ihren zwei Töchtern in Leipzig.


Daniela Krien, Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Roman, Mit einem Vorwort der Autorin, Diogenes Verlag AG, Zürich 2022, 257 Seiten, ISBN 978 3 257 07219 8

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