Stell dir vor, dort, wo du wohnst, ist Krieg. Stell dir vor, du flüchtest mit deiner Familie. Stell dir vor, du bist in dem neuen Land. Stell dir vor, deinem Vater wird nicht erlaubt zu arbeiten. Stell dir vor, deine Mutter wird von der Gastgeberfamilie ausgenutzt. Stell dir vor, du bist gut in der Schule. Aber gut sein reicht nicht, du musst besser sein. Stell dir vor, Du schreibst die besten Aufsätze in der Klasse, aber deine Lehrerin gibt dir trotzdem nur eine Zwei. Stell dir vor, Dein Vater darf einfach nicht arbeiten. Stell dir vor, Deine Mutter muss noch einmal ihr Studium anerkennen lassen, obwohl sie den Studienabschluss schon hat. Stell dir vor, dein Vater „verschwindet“ - im Putzen, im Internet, aus seinem Leben, hinter dir.
Stell dir vor, du bist ein Ausländerkind.
Ein schönes Ausländerkind.
Aber ein Ausländerkind.
Es gibt gute und schlechte Ausländer: „Nicht nur Renate, auch unsere Nachbarn und die Familien meiner Freunde betonten regelmäßig, wir seien nicht wie die anderen.“ (S. 68)
Stell dir vor. Du erreichst trotzdem alles. Du hast alles. Du bist perfekt. Du hast einen Job als Juristin in einer österreichischen, staatlichen Behörde. Aber er ödet dich an. Eines Tages beschließt du, du brauchst Veränderung und baust dir unter deinem Schreibtisch ein Bettenlager.
Wer bist du? „Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert.“ (S. 13)
Es geht um Entwurzelung, Überanpassung, Alltagsrassismus und Identitätsverlust. Die Autorin ist unverkennbar Satirikerin. Zu Sarkasmus und Witz mischen sich jedoch oft manchmal im selben Satz Schmerz und Wut, dazu Liebe, Klugheit und Melancholie: Diese Melange macht den Roman aus und präsentiert damit subtil die Hürden und Vorurteile, die sich einem Ausländerkind und seiner Familie auftun.
Ein starkes Debüt. Bitte mehr!
Toxische Pommes heißt im wahren Leben Irina und arbeitet als Juristin in Wien. Sie hat hunderttausende Follower auf Tiktok und Instagram und spielt ihr Kabarettprogramm Ketchup, Mayo & Ajvar - Die sieben Sünden des Ausländers vor ausverkauften Häusern in Österreich und Deutschland.
Toxische Pommes, Ein schönes Ausländerkind, Paul Zsolnay Verlag Ges.m.b.H., 1. Auflage, Wien 2024, 206 Seiten, ISBN 978 3 552 07396 8
Kommentar schreiben