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Martina Berscheid "Fremder Champagner"


Nein, glücklich wirkt keine der Figuren aus Martina Berscheids fünfzehn Erzählungen in „Fremder Champagner“. Sie wirken alle etwas geplagt, fremdgesteuert oder stillstehend. Sie sehnen sich nach dem Kick im eigenen Leben („Alles gut“, „Nighthawk“), sind getrieben von Eifersucht („Als wären sie Verschwörerinnen“), argwöhnisch, was der Partner so treibt („Passwort“) oder einsam und kontaktscheu („Gwen“). Sie sind in Rollen- und Verhaltensmustern oder Lebenssituationen festgefahren („Schmerz“, „Die Besuche meiner Mutter“, „Klare Verhältnisse“) oder gesellschaftliche und/oder familiäre Erwartungen und Bilder bestimmen ihr Denken, Handeln oder auch Nicht-Handeln („Kreuzverhör“, „Familienfest“, „Plusminus“).

Martina Berscheid "Fremder Champagner"
Martina Berscheid "Fremder Champagner"

Immer sind es die vermeintlich negativen Empfindungen, die Berscheids Protagonist*innen umtreibt. Die Autorin spürt diesen Verletzungen und Befindlichkeiten nach und geht nah, sehr nah an die Gefühle ihrer Figuren heran. Besonders berührt hat mich die Geschichte um die zwei Brüder Paul (der erzählt) und Olaf in „Die Besuche meiner Mutter“. Paul fühlte sich in der Beziehung zur Mutter benachteiligt, fand den Älteren bevorzugt und diesem erscheint nun der Geist der gerade Verstorbenen. Abweisend, skeptisch und zweifelnd fühlt sich Paul dennoch in seiner Trauer davon angezogen…

 

Überwiegend sind es weibliche Erzählstimmen, aber auch, wie gerade beschrieben, die eine oder andere männliche, aber selbst dann, so merke ich, lenkt Martina Berscheid den Blick auf die Frau in ihrer Geschichte („Die Besuche meiner Mutter“, „Passwort“, „Was tun“). Macht sie es da und anderswo („Kreuzverhör“, „Nighthawk“) wie nebenbei, so wird sie in der Erzählung „Könige“ ganz konkret in ihren Hinweisen auf unreflektiert-verinnerlichtes männliches Gebaren…

 

Martina Berscheid arbeitet mit keiner opulenten Erzählweise, sondern mit einer klaren Sprache, mit kurzen, knackigen Sätzen, die genau und gezielt in ihrer Aussage gesetzt sind. Lebendige, teils ungewöhnliche Sprachbilder entfalten in dieser erzählerischen Kürze und Knappheit umso mehr ihre Wirkung. Dass sie auch humoristisch werden kann, beweist sie in der letzten Erzählung „Klare Verhältnisse“ (und Dr. Rose spreche auch ich und natürlich englisch aus, wie sonst 😊).

 

„Fremder Champagner“ und seine Erzählungen haben mich auch überzeugt, weil ich mich in nahezu jeder von ihnen angesprochen und ertappt gefühlt habe. Und das wirst Du auch.

 

Der Erzählband bewirbt sich hiermit für meine Highlights 2024. 

 

Vielen Dank an den Mirabilis Verlag und an Martina Berscheid für das Rezensionsexemplar (unbeauftragte, unbezahlte Werbung).


Martina Berscheid, geboren 1973 in Kaiserslautern, hat Biologie studiert und schreibt Prosa - Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, aber auch Haikus. Sie liebt vielschichtige Figuren und hat ein Faible für Sprachbilder. In ihren Texten lotet die Autorin die Beziehungen zwischen den Menschen aus, das Ungesagte, Verborgene. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden in Anthologien und Literaturzeitschriften publiziert. 2015 erhielt sie den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis der Stadt Saarbrücken. Veröffentlichungen: "Leichtgewichte" (Erzählungen, 2017), "Das Echo unseres Schweigens" (Roman, 2018, Rabenwald Verlag), "Die Klassenkameradin" (Roman, 2023, Edition Schaumberg, 2020 Longlist des Blogbuster-Preises). Martina Berscheid lebt mit ihrer Familie in Homburg/Saar.


Martina Berscheid, Fremder Champagner, Erzählungen, Mirabilis Verlag, 1. Auflage 2024, 232 Seiten, ISBN 978 3 947857 25 8

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