Juno lebt mit ihrem an Multipler Sklerose erkrankten Mann Jupiter, 69, in Leipzig. Die Mittfünfzigerin ist Performance-Künstlerin, Tänzerin, er Schriftsteller. Ihr gemeinsames Leben spielt sich vor allem daheim in der Wohnung ab, will er sie verlassen, muss immer ein Nachbar bemüht werden, ohne Fahrstuhl, ohne Rampe kommt Jupiter nur allein mit Junos Kräften nicht aus dem Haus.
Juno erzählt. Das Erzählen gelingt ihr leicht, aber es wiegt schwer, und wie nebenbei schleichen sich immer mehr Dimensionen ein. Sie erzählt als Partnerin, als Pflegende, als Frau, als Künstlerin…
Zwischen Juno und Jupiter herrscht eine Wortlosigkeit, ein Nebeneinander, das weh tut beim Lesen, aber paradoxerweise ist da gleichzeitig eine nicht bestimmbare, aber dennoch greifbare Übereinkunft. „Immer geht es nur um Jupi“ ist der momentane Status ihrer disproportional erscheinenden Beziehung. Ihr Erzählen als Partnerin ist stark gelenkt von ihrem Erzählen als Pflegende und von den Hindernissen, Belastungen und Demütigungen rund um das Thema. Über Juno liegt ein Schleier der Erschöpfung und der Traurigkeit (gleich wie auf dem Planeten Melancholia, auf den gleichnamigen Film bezieht sich Juno oft). In ihrem Erzählen als Frau scheint sie zu verschwinden - als Jupiters Frau in seiner Krankheit, als Frau in der Gesellschaft hinter ihrem Alter - ihre Selbstempfindung ist eine ganz andere.
In der Bleischwere des oft auch finanziell angespannten Alltags sucht sie als Künstlerin Ventile, Freiräume zum Er-Leichtern, sie öffnen sich ihr beim Tanzen, beim Performen, beim Tattoostechen … aber auch nachts, wenn sie wieder mal schlaflos ist, beim Chatten und Abservieren von Love-Scammern. Social-Media-Konten, die Liebe versprechen und Geld wollen. Juno weiß das. Juno gaukelt und lügt, wie die andere Seite es tut, auch bei Benu aus Nigeria. Doch an ihm bleibt sie hängen. Juno will keine Liebe, nein, Benu hat aber ein ehrlich wirkendes Interesse an ihr. Oder doch nicht?
Die Dreiecksgeschichte Juno-Jupiter-Benu will, wird keine sein. Aber aus dieser Konstellation heraus entwickelt Martina Hefter unaufdringlich und bedächtig ein viel- und tiefschichtiges Gebilde über das Alter und Älterwerden, über Pflege und die Vereinsamung darin, über das Anders- und das Behindertsein, über die Virtualität von Beziehungen und das Spiel mit Wahrheit und Lüge und Geheimnis darin, und auch wie ein Chat zwischen Europa und Afrika das historisch bedingte Gefälle zwischen den Menschen hier und dort aufzeigt.
Ganz klar ganz großartig.
Vielen Dank an den Klett-Cotta-Verlag für das Rezensionsexemplar. /Unbeauftragte, unbezahlte Werbung/
Martina Hefter lebt als Autorin und Performerin in Leipzig. Ihre Texte bewegen sich zwischen Gedicht, szenischen Schreibformen und Roman. Viele ihrer Texte setzt sie in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen szenisch um. Sie veröffentlichte drei Romane und - in kookbooks-Verlag Berlin - fünf Gedichtbände. Zuletzt erschien 2021 "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen".
Martina Hefter, Hey guten Morgen, wie geht es dir?, J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart 2024, 222 Seiten, ISBN 978 3 608 98826 0
Kommentar schreiben