„Zugvögel“ schien mir ein Titel, der in den Herbst passt. Danke an Carina @_buecherwelten_, die den Roman aus ihrem SUB zu mir ziehen 😊 ließ. Ich dachte an Schwalben oder Störche, die wir hier bei uns in Mitteleuropa sommers haben. Die Zugvögel im Roman sind allerdings Küstenseeschwalben. Sie brüten in der Arktis und fliegen zum Überwintern in die Antarktis, mit bis zu 30.000 km hin und zurück gelten sie als die Zugvögel mit der längsten Flugstrecke, manche schaffen sogar das Dreifache! By-the-way-fact von Romanen: Ich lieb’s.
Die Hauptfigur Franny Lynch erzählt selbst und befindet sich zu Beginn des Romans in „Grönland, zur Nistzeit“. Sie stattet drei dieser Vögel mit Peilsendern aus, um ihnen auf ihrem Flug in die Antarktis folgen zu können. Die junge Frau, Mitte 30, liebt das Wilde, das Abenteuer, sie wirkt aber allein und getrieben … woher ihre Rastlosigkeit und Einsamkeit rühren, erfahre ich nach und nach in Rückblenden.
„Zugvögel“ entwickelte sich für mich rasch zu einem Schmöker im besten Sinne des Wortes, ich durfte ‚eintauchen‘, um in der Meer-Wasser-Wortfamilie zu bleiben. Eine starke, witzige Eingangssequenz, wie Franny in Kontakt mit Käpt‘n und Besatzung kommt, auf deren Schiff sie schließlich anheuert, wird mir wohl lange in Erinnerung bleiben und setzt eine Ahnung, wie rau, aber auch menschlich lohnenswert es für Franny Lynch wird, Teil dieser Mannschaft zu sein, deren Charaktere McConaghy sympathisch kantig herausarbeitet.
An mancher Stelle schwappten mir allerdings ein bisschen zu viel Kitsch und zu viel dramatische Vergangenheit über die Bordwand in Frannys Geschichte und überlagerten die brennende, hochaktuelle Hauptbotschaft des Romans. Es geht um Frannys Kampf für die Tiere, für die Natur und das Leben, gegen das Artensterben...
Den Roman sehe ich verfilmt und seine Bilder klar und wirkungsvoll auf der Kinoleinwand, und damit wäre er wünschenswerterweise einem noch breiteren Publikum zugänglich.
Von mir gibt es eine Herzensempfehlung.
Charlotte McConaghy, Jahrgang 1988, hat irische Wurzeln und wuchs in Australien auf. Ihre Passion für die Natur und Tierwelt und ihre Erschütterung über die Auswirkungen des Klimawandels inspirierten sie zu "Zugvögel", ihrem literarischen Debütroman, mit dem sie den internationalen Durchbruch erreichte. Sie hat einen Abschluss als Drehbuchautorin der Australien Film Television and Radio School. McConaghy lebt in Sydney.
Tanja Handels, geboren 1971 in Aachen, lebt und arbeitet in München, übersetzt zeitgenössische britische und amerikanische Romane, u.a. von Zadie Smith, Anna Quindlen, Pamela Moore und Elizabeth Gilbert, und ist auch als Dozentin für Literarisches Übersetzen tätig. Für ihre Übersetzungen wurde Tanja Handels 2019 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet.
Charlotte McConaghy, Zugvögel, Roman, Aus dem Englischen von Tanja Handels, FISCHER Taschenbuch, 3. Auflage, Frankfurt am Main, Mai 2022, 414 Seiten, ISBN 978 3 596 70520 7
Kommentar schreiben