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Elisabeth O'Connor "Die Tage des Wals"


Im Nachwort macht die Autorin auf die Grundlage ihres Romans aufmerksam: Viele britische Inseln wurden aufgegeben oder deren Bevölkerungszahl hat stark abgenommen „aufgrund zunehmend rauer Wetterbedingungen, des Verkaufs von Land an Privatpersonen und des Umzugs jüngerer Generationen aufs Festland“ (S. 219).

 

Auf einer fiktiven walisischen Insel lebt die 18jährige Manod mit ihrem Vater, der jüngeren Schwester Llinos und Hund Elis, die Mutter ist bald nach der Geburt der Schwester verstorben. Joan und Edward kommen hier im Spätsommer 1938 an, um für circa ein Vierteljahr ethnografische Studien zu betreiben. Interessiert und aufgeschlossen und der englischen Sprache mächtig, wird Manod Übersetzerin und Assistentin der beiden Oxford-Wissenschaftler. Was die Inselbewohner just zur selben Zeit durcheinanderbringt und in Unruhe versetzt, ist ein gestrandeter Wal…

Elisabeth O'Connor "Die Tage des Wals"
Elisabeth O'Connor "Die Tage des Wals"

Der Roman entwickelt eine ganz eigene Atmosphäre. Sie entsteht einmal aus der Ursprünglichkeit des Settings Insel, Meer und toter Wal. Zum anderen wird unmittelbar die Anziehung in dem Dreiergespann Joan/Edward/Manod offensichtlich, die aus der Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit der Figuren und Charaktere entsteht. Das harte Inselleben und die Sehnsucht der jungen Frau, die sich ein von einem Mann unabhängiges Leben über die Insel hinaus wünscht, treffen auf die Romantisierung des Insellebens durch die Städter. Es ist jedoch auch bald klar, dass die Festländer der jungen Insulanerin nicht auf Augenhöhe begegnen und Erwartungen einseitig erfüllt werden.

 

Darin folgt die Autorin auch in ihrem Handling der Perspektiven – ich lerne die Insel durch Manods Augen und in ihrer Begleitung der zwei Gäste kennen, zum anderen erhalte ich deren Einblicke wiederum nur aus ihren dokumentarischen Aufzeichnungen über die Insel.

 

Das Kurzgezeichnete und Nicht-Auserzählte unterstreichen das Atmosphärische. Wer beim Lesen selbst Lücken füllen möchte, der wird mit diesem Debüt von Elisabeth O’Connor glücklich werden - deshalb und nicht zuletzt, weil sich Rauheit sprachlich mit Poesie verbindet, habe ich „Die Tage des Wals“ sehr gern gelesen und kann es nur weiterempfehlen.

 

Vielen Dank an das Bloggerportal für die Übersendung des Rezensionsexemplars.


Elisabeth O'Connor schreibt Prosa und Gedichte, hat Kurzgeschichten in The White Review und Granta veröffentlicht und 2020 den renommierten The White Review Short Story Prize gewonnen. Sie hat einen PhD in Englischer Literatur und lebt in Birmingham. Die Tage des Wals ist ihr Debütroman.

 

Astrid Finke, geboren 1969, studierte Anglistik und literarische Übersetzung. Sie hat u.a. Susanne Clarke, Sue Townsend, Heather O'Neill, Nicholas Sparks, Diane Cook und Deepti Kappor ins Deutsche übertragen.


Elisabeth O'Connor, Die Tage des Wals, Aus dem Englischen von Astrid Finke, Karl Blessing Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 1. Auflage, München 2024, 222 Seiten, ISBN 978 3 89667 753 2

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