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Zora del Buono "Seinetwegen"


„Ich sollte wirklich mit der Aufarbeitung des Unfalls beginnen.“ (S. 25)

Zora del Buono war acht Monate, als ihr Vater verunglückte. Die (inzwischen demente) Mutter hat nie mit ihr darüber gesprochen, selbst hat sie aus Rücksicht nie gefragt - der Unfall wurde in der Familie verdrängt, geschwiegen. Nun will sich die 60jährige von diesem Phantom, dem „Töter“ (S. 7) des Vaters, von dem sie nur die Initialen E.T. kennt, befreien und auch den eigenen „Deformationen“ (S. 22) auf den Grund gehen. Sie reist in die Schweiz, an den Unfall- und Kindheitsort in der Nähe von Glarus, versucht mit den Menschen dort zu reden, kontaktiert Archive und Behörden, sichtet Dokumente und Fotos. 

Zora del Buono "Seinetwegen"
Zora del Buono "Seinetwegen"

200 Seiten sind ‚nur‘ aus der Recherche entstanden, aber sie überzeugen mich von der ersten bis zur letzten. Noch Tage nach Lektüreende grübele ich, woran dies liegt – so richtig kann ich es nicht fassen, erklären - wohl begründet ist es u.a. aus dem Konzept der Autorin, das wirkt, als ob es keines wäre, denn ihr Roman ist kein Roman in dem Sinne.

 

Er ist vielmehr ein Mix und ein Hin- und Herschwenken zwischen: Erinnerungen, Sachinformationen, Statistiken. Es geht viel um Autos, um Unfälle klar, um Männeranteile daran. Es ist Historisches darin, Persönliches wie Biografisches. Gespräche mit Freunden (im Kaffeehaus), Reflexionen. Überlegungen und Vermutungen.

 

Es ist für mich dieser Mix, der Tiefe erzeugt, der Wechsel zwischen nüchtern scheinenden Fakten, die Abstand schaffen sollen und dann genau das Gegenteil von Nüchternheit erzeugen, wenn sich die Vergangenheit Zora del Buono öffnet, sie in der Gegenwart trifft und sie verändert, beeinflusst – auch dem Vater, der Mutter wie E.T., dem Töter, nun Mensch gegenüber.

 

Und schließlich diese grandiose Landschaft! „… grüne Wiesen und Weiden, und rundum diese Brocken von Bergen, als seien sie aus dem All in die Ebene gestürzt, alles liegt mir zu Füßen; es ist früher Morgen, das Licht diesig, wie fein wabernder Rauch, würzige Luft, das hier ist Schönheit pur.“ (S. 138)

 

Und da spürst du wie Zora del Buono, wie klein du bist: „Bedenke, dass du sterblich bist.“ (S. 177), und doch wie wichtig für sie (wie für mich) ihr Anliegen.

 

Das ist auf den Punkt genau meine Literatur! 

 

Nachsatz: Zora del Buono gewann mit „Seinetwegen“ den Schweizer Buchpreis und war nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024. Vielen Dank an den C. H. Beck Verlag – ich hatte das große Glück, diese signierte Ausgabe bei einer Adventsverlosung zu gewinnen.


Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich, Studium der Architektur an der ETH Zürich und der HdK Berlin, fünf Jahre Bauleiterin im Nachwende-Berlin, Gründungsmitglied und Kulturredakteurin der Zeitschrift "mare". Bei C.H. Beck Literatur sind erschienen: Gotthard (2015), Hinter Büschen an eine Hauswand gelehnt (2016) und Die Marschallin (2020). 


Zora del Buono, Seinetwegen, Verlag C. H. Beck oHG, 6. Auflage, München 2024, 201 Seiten, ISBN 978 3 406 82240 7

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