Welchen Anteil hat für Euch der Titel bei der Auswahl des Buches?
Schon ein paar Wochen her, dass der Septime Verlag begann, mit Salih Jamals „Das perfekte Grau“ zu werben, und ich hatte unverzüglich einen Screenshot auf meinem Handy-SUB und das nicht unbedingt, weil ich wusste, worum es in der Geschichte ging, sondern weil für mich der Titel des Buches ja eben perfekt ist: "Das perfekte Grau", das ist so ähnlich verführerisch für mich zum Lesen wie Birgit Birnbachers „Ich an meiner Seite“, umgehend mit unzähligen Assoziationen im Kopf und im Herzen. - Ach, viel der Vorrede, wenig Sinn, nun zum Eigentlichen.
Worum geht es also?
Mimi, Rofu, Novelle, Dante! Ein Quartett im Ganzen, jede/r einzeln aber mit Rucksäckle, Päckchen oder Paketen unterwegs, die mächtig drücken: Mimi, die ihren Mann vergiftet hat, Rofu, der aus Afrika Geflüchtete, Novelle, vom Vater missbraucht und Dante, der vor sich selbst und seinen Entscheidungen wegrennt. Jeder und jede irgendwie angekratzt finden sie in einem ebenso ramponierten Hotel im Norden zusammen und gehen auf einen Roadtrip Richtung Süden, die Polizei vermeintlich im Nacken…
Auf der Suche nach dem perfekten Grau
In siebenundzwanzig Kapiteln schickt Salih Jamal seine vier Antihelden auf die Reise, betitelt etwa „Alt Ottoking“, „Tausend Arten von Regen“, „Allahs Träne“, „Bullenreiten“, „Vagina See“ oder eben „Das perfekte Grau“. Die Stationen ergeben eine Melange aus der Vergangenheit und der Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen, die sich in Einsamkeit, Missbrauch, Hass, Fluch und Flucht und Ausgrenzung zeigen, und aus der gegenwärtigen Hoffnung auf ein klein bisschen Glück, Freundschaft und Liebe.
Salih Jamal liebt seine Figuren, er zeigt ihre Lädierungen, aber er stellt sie nicht bloß, er will sie nicht untergehen lassen, er will ihnen nicht die Hoffnung nehmen, dass sie es schaffen können. Sie sind – zum Glück – aufgefangen in dem sich zart entspinnenden und immer kräftiger verknoteten Netz der Freundschaft. Über den inneren und äußeren Kämpfen der Vier schweben die Weisheiten Dantes, aus dessen Sicht die Reise erzählt wird. Die Flucht eines jeden endet – klaro – bei sich selbst.
„Eine Träne von Allah ist in den Wald gefallen“ (S. 112) oder „Man muss es schaffen, selbst das Licht zu sein.“ (S. 210)
Mir gefällt zum einen besonders, dass sich neben den Ernst der Dinge immer wieder ein kleiner Schelm setzt, der seine Funken hoffnungsvoll spitzbübisch versprüht – besonders aus der Richtung Rofus und seiner „Sprachkomplikationen“. Regelmäßig tauchen da zudem kleine prägnante Sätze und Satzkonstrukte auf, die mich entweder schmunzeln lassen
„Rofu kräuselte seine Brauen.“ (S. 57) oder „Hummeln schmissen sich in die Pollen wie ins Bällebad. Dann titschten sie wie an einer unsichtbaren Gummischnur gezogen kurz wieder raus, um sich mit Wonne wieder reinplumpsen zu lassen.“ (S. 142)
oder innehalten
„Vielleicht ist das der Sinn des Lebens: das Zulassen des Loslassens.“ (S. 136).
Zum anderen sind es auch immer wieder die Natureindrücke Dantes, die sich fast heilend, ablenkend und beschwichtigend um die Wunden des Quartetts legen. Daraus entsteht eine ernst und einfühlsam erzählte Geschichte gewürzt mit der essenziellen spielerisch-koketten Leichtigkeit.
Ich freue mich, dass ich den Juni mit diesem Buch beschließen darf, das ich Euch uneingeschränkt empfehlen kann.
Salih Jamal (geb. 1966) hat seine Wurzeln in Palästina. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. Sein Debütroman "Briefe an die grüne Fee - Über die Langeweile, das Begehren, die Liebe und den Teufel" wurde in 2018 auf der Frankfurter Buchmesse für das beste Buch des Jahres in der Kategorie "Zeitgenössische Literatur" ausgezeichnet. (Klappentext)
Salih Jamal, Das perfekte Grau, Septime Verlag, 2021, 239 Seiten, ISBN 978 3 99120 001 7
Kommentar schreiben
Salih Jamal (Mittwoch, 30 Juni 2021 17:36)
Danke für die schöne Buchbesprechung. Liebste Grüße Salih Jamal